Neulich sitz ich so bei Papa und wir schauen gemeinsam den Windrädern beim Arbeiten zu. Ganz still ist es. Wir halten uns bei der Hand und ich guck so auf unsere Hände. Seine Hände sind ganz groß, mit vielen Schwielen und kurzen Fingernägeln, man sieht förmlich, was diese Hände alles angepackt haben: im Großen – wie Treckerlenkräder und sonstige Maschinen, Kuhbeine und Klauenschneidemesser, Strohballen, jede Menge Stricke mit Tieren dran, Ferkel und Kälber im Ganzen, ein Haufen Eisenrohre und Holzbalken, die später zu Ställen und Häusern wurden, Bäumchen, Gülleschläuche, Mistforken, Silofolie, den Riesenhammer (den ich nicht mal hoch kriege) mit denen man Weidepfähle reinkloppt, Autoanhänger, Winter- und Sommerräder, Zangen, Sensen, Bolzenschneider ….. und im Kleinen – wie Tomatensamen, Erde, Bastelfilz, Grillzangen, kleine Erdbeerpflänzchen, Himbeeren, Blaubeeren, Gelierzucker, Kartoffelschälmesser, ganz früher mal viele Schnapsgläser, Enkelkinderhände, Kaffeetassenhenkel, Bleistifte, um das Wahlscheibentelefon damit zu bedienen, weil die Finger zu dick sind für die kleinen Löcher, die ersten Osterglocken aus dem Garten am Tag der Beerdigung meiner Mutter … ich schau so den Geschichten zu, die seine Hände erzählen und als er sich zu mir dreht sag ich mit einem Grinsen „Mensch Papa nu mach ich mir aber wirklich bald mal Sorgen um dich, du hast das erste Mal in deinem Leben saubere Hände, dat gifft dat doch nich.“ Und er grinst zurück und sagt „Ja, die haben hier im Hospiz nichts zu tun für mich, ich lieg hier nur rum.“ Und da müssen wir beide ein bisschen lachen und weinen zugleich. Da war mein Papa schon rechtsseitig gelähmt und wollte nicht mehr aufstehen, aber mit der linken Seite hat er mich immer noch im Armdrücken geschlagen. Als Zeuge für die Zeit des Anpackens liegt sein Taschenmesser noch im Nachtschrank „Was ist schon ein Mann ohne Taschenmesser?“ hat er gesagt. Aber er wird es nicht mehr benutzen können. Am Donnerstag hat er sich auf seine letzte Reise gemacht. Die letzten Wochen waren sehr bewegend für mich. Seine schwere Krankheit kam ohne Ankündigung, mit voller Wucht und ging schnell. Um Papa und auch um uns Kinder herum ist in den Wochen eine bemerkenswerte tragende Gemeinschaft entstanden aus Partnern, Kindern, Tanten, Onkeln, Neffen, Nichten, Cousins und Cousinen, Nachbarn, Nachbarinnen, Dorfleuten, Freunden, Bekannten, …. sehr viele Menschen haben Anteil genommen und haben ihn besucht … abends gab es in einer WhatsApp-Gruppe kurz einen Bericht, wie es ihm an dem Tag ging und was so passiert ist. So hat er auch in seinen letzten Wochen noch mal alle zusammen geholt.
Das Hospiz zum Guten Hirten in Rotenburg (Wümme) hat nicht nur Papa aufgenommen, sondern mit ihm auch diese große Gemeinschaft um ihn herum. Das Team hat sich rührend um Papa gekümmert. Da er so bescheiden war, war es nicht so einfach heraus zu bekommen, was wer wirklich will. Aber die Pflegerinnen und Pfleger haben ein ganz feines Gespür und einen wundervollen Umgang mit ihm aufgebaut und ihn bis zur letzten Minute voll im Blick gehabt. Dabei waren wir immer willkommen. Ich habe im Hospiz sehr viel gelernt über das Leben. Ich habe den Eindruck, dass Vieles, wie es im Hospiz gelebt wird, auch bei uns hier im normalen Alltag eine viel größere Rolle spiele sollte. Zum Beispiel die grundlegende Haltung der Akzeptanz gegenüber dem, was da ist und kommen wird. Und das Ruhig werden in bewegten Zeiten.
Mein Papa hat in seinem Leben nie „nein“ gesagt. Wenn man ihn um Hilfe gebeten hat, dann hat er geholfen, wenn er irgendwas für einen tun konnte, dann hat er das gemacht. Aber zum Schluss hat er „nein“ gesagt, er mochte nicht mehr. Es war genug.
Ich habe neulich in seiner Fotoschublade dieses Bild von ihm gefunden, wie er das Hüpfspiel „Himmel und Hölle“ spielt. Dieser Schnappschuss mitten im Sprung – nicht mehr hier und noch nicht dort – so waren die letzten Wochen für die ich sehr dankbar bin.
Ich möchte das hier teilen, damit es vielleicht über mein kleines Erleben hinaus wirksam werden kann. Vielleicht liest das jemand und weiss was ich damit sagen will. Die sozialen Medien sind leider gar nicht mehr oft gefüllt mit solchen Worten, die wir aber alle so brauchen zum Menschsein.
Ich wünsche euch allen einen schönen Wochenanfang. Vielleicht ist es ein guter Montag, um anzufangen etwas zu akzeptieren, das eh im Raum steht und darüber ruhig zu werden und es hinein zu bitten in die gute Stube.
Liebe Grüße
Maike